Ursula Hörig |
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geboren: |
16.5.1932 |
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Adresse: |
Eduardstraße 26 06844 Dessau |
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Telefon: |
0340 / 221 18 20 |
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E-Mail: |
Geboren in Dessau als Tochter eines Kaufmanns und einer Schneiderin. Kaufmännische Lehre. Zahnärztliche Helferin, Fachverkäuferin und Kundenberaterin. Gehörte dem Dessauer Zirkel schreibender Arbeiter an (Leitung Werner Steinberg). Besuch eines Sonderkurses des Literaturinstituts Johannes R. Becher. Seit 1978 freischaffend. Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS).
Palermo und die himmelblauen Höschen, Erzählungen, 1972, Rostock, Hinstorff
Timmes Häuser, 1975, Rostock, Hinstorff
Spatzensommer, Erzählungen, 1982, Rostock, Hinstorff
Frauenportraits, Hörfolge, 1986, Radio DDR
Meine unfreiwilligen Telefongespräche, Hörspiel, 1989, Radio DDR
Beteiligung an Anthologien:
Lebenszeichen, 1995, Halle, Literaturbüro Sachsen-Anhalt Süd
Immer wieder Ikarus, 1995, Oschersleben, dr. ziethen verlag
Die kleine Europa, 1995, Magdeburg, imPuls Verlag
Wer dem Rattenfänger folgt, 1998, Halle, Förderkreis der Schriftsteller
Poetry Slams, 1998, Aurich
Das Kind im Schrank, 1999, Leipzig, Faber & Faber
Versuchungen, 1999, Oschersleben, dr. ziethen verlag
In Arbeit:
Meine unfreiwilligen Telefongespräche II, Hörspiel
Ungehörige Begebenheiten, Kurzprosa
Prosa, Hörspiel
1. | Lesungen für Schüler der 6. bis 12. Klassen mit Gespräch |
2. | Lesungen für Erwachsene aller Altersstufen |
3. | Werkstattgespräche zum Thema Nicht nur Geld liegt auf der Straße, sondern manchmal auch Geschichten (anhand der Erzählung Stoppt mich, bevor ich mich töte) |
4. | Lesungen aus Ungehörige Begebenheiten (satirische Texte) |
Die Lesungen werden nicht nur auf herkömmliche Weise durchgeführt, sondern unter Einbeziehung der Zuhörer, so dass ein Dialog entsteht. Dabei handelt es sich sowohl um heitere als auch ernste Texte.
Textprobe: |
Völlig unvorbereitet stand die Frau diesem an das sonst unbefleckte Weiß einer Giebelwand gesprühten Satz gegenüber. Stoppt mich, bevor ich mich töte!
Das waren keine unleserlichen und willkürlich ineinander verschlungenen Linien, sondern ein klarer, verständlicher Satz. Und sie zweifelte nicht an seiner Ernsthaftigkeit
und auch nicht daran, dass er von einem Jungen geschrieben wurde.
Erst langsam drang die Ungeheuerlichkeit des Ganzen in ihr Bewusstsein. Da stand nicht: Yvonne liebt Maik oder Andreas ist bekloppt. Der sonst tote und
kalte Beton war vielmehr Überbringer einer Botschaft geworden von einem, der keine andere Möglichkeit mehr hatte. Dabei war es Anfang März, und die Statistik in
diesem Lande besagte, dass die Selbstmordrate erst im Mai sprunghaft in die Höhe schnellen würde.
Der an die Giebelwand grenzende Spielplatz war von jungen Leuten bevölkert. Zögernd näherte sich die Frau ihnen und fragte: Ob sie vielleicht einen kannten, der das
dort drüben an die Wand gesprüht hatte? Sie sahen einander an und verstanden nicht, was sie von ihnen wollte, bis einer fragte: An welche Wand? Als sie
in die bewusste Richtung zeigte, sagte ein anderer: Ach, den Scheiß! Sicher wäre das so ein beknackter Typ gewesen. Und damit war für sie das
Gespräch beendet.
An einem der nächsten Abende tauchte die Frau erneut an der Giebelwand auf, nichts war übertüncht, wie sie befürchtet hatte, nur die vom Spielplatz hatten vor dem
einsetzenden Regen längst Zuflucht unter den Bäumen gesucht. Es war fast dunkel, einzig das Weiß der Giebelwand hob sich aus dem Regengrau heraus. Bevor sie
hastig ihre Telefonnummer unter die Androhung des Jungen setzte, sah sie sich um, doch niemand schien von ihr Notiz zu nehmen.
Voll kindlicher Naivität wartete sie von nun an auf seinen Anruf. An Zeit mangelte es ihr nicht, sie war arbeitslos. Doch ihr Telefon blieb stumm. Da begann sie an den
Haustüren zu klingeln. Doch die Wohnungstüren wurden oft nur einen Spaltbreit geöffnet, danach wortloses Schließen und Kettevorlegen, hin und wieder auch karge
Antworten. Oder zwischen Tür und Angel hängende Müdigkeit, auch die vielleicht sogar berechtigte Frage, ob sie nichts Besseres zu tun hätte, verbunden mit dem Rat,
solchen Schmierfinken lieber was auf die Pfoten zu geben, statt ihnen nachzurennen. Dazu Bildschirmschüsse und Todesschreie hinter nur angelehnten Wohnungstüren.
Konzentrierte Gewalt in Farbe. Was war ein angedrohter, nicht einmal vollzogener Selbstmord dagegen?
Was hatte sie eigentlich erwartet? Die Frau wusste es nicht. Sie war ernüchtert und bestürzt.
Bis sie den Jungen entdeckte, der vor einer der Haustüren auf sie wartete. Zuerst sah sie seine dünnen Beine in diesen ganz engen Jeans und sein ziemlich langes Haar
und dass er ein blaues Hemd trug, das etwas vom Blau der FDJ-Hemden hatte. Und dass er überhaupt nicht in das Bild passte, das sie sich von ihm gemacht hatte.
Ihm musste es ähnlich ergangen sein, denn er sagte: Sie sind das also? Zögernd willigte er ein, mit ihr zu gehen. Tee verabscheute er. Kaffee bedingt: Er
habe da seine Probleme und wälze sich die halbe Nacht schlaflos im Bett herum. Blieb der Rotwein, den sie zuerst still in sich hineintranken. Bis der Junge berichtete,
durch Zufall mitgekriegt zu haben, dass sie nach ihm suchte. Imponiert hatte ihm das schon, denn die meisten klopften doch nur sinnlose Sprüche. Und der Einfall mit der
Telefonnummer war schon genial. Nur dann habe er Hemmungen gehabt, sie anzurufen.
Früher konnte er über alles mit seiner Freundin reden, auch wie das wäre, tot zu sein. Wenigstens, bis sie ihn eines anderen wegen hängen ließ. Der andere war ein
lustiger Typ. Sie liefen ständig miteinander herum und lachten, und wenn sie ihn sahen, lachten sie besonders laut und liefen besonders schnell. Als das Ganze anhielt,
hatte er sich wieder öfter mit seinen Kumpels getroffen, vor allem mit einem. Sie hatten eine wirklich tolle Zeit, ständig unterwegs. Schlaf, fast ein Fremdwort. Sein
Freund sah alles viel lockerer, war längst raus aus der Schule, fuhr einen bemerkenswerten Schlitten, zwar keinen Porsche, aber schon was mit Sportauspuff. 240 machte
der spielend. Sie waren wie besoffen, wenn sie über besonders griffigen Straßenbelag feuerten. Und sah er das Mädchen, war da nicht mehr das Gefühl, ohne sie nicht
leben zu können.
Jedenfalls bis das mit seinem Kumpel passierte. Der Unfall. Danach seine panische Angst, dass ihm immer mehr genommen werden könnte, dass nichts übrigblieb, und
der Gedanke, dem zuvorkommen zu müssen. Dazu die verdammte Öde nach Schulschluss. Erst wollte er allein sein, aus Angst vor den abgeklapperten Sprüchen der
anderen, ihrem verdammten: Sterben müssen wir doch alle mal. Und ihren Ratschlägen: Auf ’ner Disko wieder echt gut draufzukommen und alles zu
vergessen.
Er wollte gar nichts vergessen. Das war ihr Irrtum. Das begriffen sogar seine Eltern, und sie ließen ihn in Ruhe. So richtig hatten sie sowieso nichts mitgekriegt, dazu
waren sie viel zu geschafft. Stress auf Arbeit, Überstunden, immer mobil sein, nicht auffallen, nicht krank werden. Redeten sie überhaupt miteinander, dann über Geld.
Dabei konnte er sich noch an eine Zeit erinnern, die sonst vielleicht nichts Erregendes aufzuweisen hatte, aber in der wenigstens nicht ständig über Geld gequatscht
wurde. Oder über solchen Schwachsinn, dass diese Wurst doch auch schmecke und neunzehn Pfennige billiger wäre als jene.
Aus: Stoppt mich, bevor ich mich töte ...