Nils Wiesner

 geboren:

22.5.1962

 Adresse:

Nulandtstraße 18       06217 Merseburg

 Telefon:

03461 / 20 20 90

 E-Mail:

nilswiesner62@hotmail.com  

Biografie: 

Geboren in Ueckermünde und dort aufgewachsen. Abitur 1980 an den „Spezialklassen für Chemie“ an der TH „Carl Schorlemmer“ in Merseburg. Ab 1982 6 Semester Chemiestudium an der TH „Carl Schorlemmer“. Seit 1985 als Chemiefacharbeiter in der chemischen Industrie in Leuna tätig.
Seit 2007 Mitglied im „Friedrich-Bödecker-Kreis Sachsen-Anhalt e.V.“ und im „Förderkreis der Schriftsteller in Sachsen-Anhalt e.V.“

Bibliografie:

Matthes Spökenkieker, historischer Roman aus der Zeit des 30-jährigen Krieges, 2007, Rostock, BS-Verlag
Das Raunen der Runen, historischer Episodenroman über mehr als 1000 Jahre deutsche Geschichte innerhalb der Mauern Merseburgs, 2007, Halle, Projekte-Verlag
Ferien auf Burg Kahleberg, Abenteuerbuch für Jugendliche,Zeitreise ins 11. Jahrhundert an die Nahtstelle zwischen Sachsen, Wenden und Wikingern, 2008, Halle, Projekte-Verlag
Von nächtlichen Geistern, Hallesche Autorenhefte 47, 2008, Halle Förderkreis der Schriftsteller
Weihnachtsgeschichten, limitierte Edition zur Weihnachtslesung, 2009, Merseburg, Projekte-Verlag
Das Haus der Lügen und Träume, phantastischer Roman, 2010, Halle, Projekte-Verlag
So langsam wie möglich, Erzählung über das John-Cage-Projekt Halberstadt, 2011, Oschersleben, Dr. Ziethen-Verlag
Kilimandscharo – Aufs weiße Dach Afrikas: Gespensterbäume, Zuckerbüsche in Tansania, ein Halt auf Sansibar, Reisebericht, 2013, Freiburg, interconnections

Beteiligung an Anthologien:
Matthes Spökenkieker (Auszug) in: LiteratUER, Anthologie über Autoren aus dem Landkreis Uecker-Randow, 2008, Schibri-Verlag Strasburg - Milow - Berlin
Mittagshexe und Nachtgespenst in: Eulenblumen und Pustespiegel, 2009, Halle, FBK & mdv
Belogen und lebendig begraben in: Ostfälische Anthologie 2009, 2009, Osterwieck, Ostfalia Verlag
Eine Hexengeschichte in: Ort der Augen 04/2009, Oschersleben, FBK & Dr. Ziethen Verlag
Der Spielmann und der Schatten in: Zaubersprüche & Sachsenspiegel, 2010, Halle, FBK & mdv
9 Gabelgeschichten in: Merseburger Gabelgeschichten, Stadt Merseburg, 2013 (auch Herausgeber)
Schutzengel, Schlachtenengel, Würgeengel in: Gemeinsame Wurzeln, 2013, FBK / dr. ziethen-verlag
9 Marktgeschichten in: Merseburger Neumarktgeschichten, Stadt Merseburg, 2013 (auch Herausgeber)

Arbeitsgebiete:

historische und phantastische Literatur, Kinder- und Jugendliteratur

Themenangebote:

1. Lesungen aus den Buchveröffentlichungen
2. Lesung „Von nächtlichen Geistern“
(Kleingedrucktes, Phantastisches und Unveröffentlichtes
3. Schulvortrag: „Wie entsteht ein Buch von der ersten Idee bis zum fertigen Exemplar?“
(ca. 5. - 6. Klase)
4. Weihnachtslesung: Weihnachten quer durch die Jahrhunderte

Textprobe:

Abends wurde im Haus des Notarius viel gesungen und gelacht. Das war etwas, das Matthes von daheim überhaupt nicht kannte. Die Mägde aus den umliegenden Häusern kamen mit ihren Spinnrocken und Spindeln, und Johannas Küche wurde dann im Handumdrehen zu einer Spinnstube. Matthes war gerne bei den Mägden. Dort war es warm und gemütlich. Wenn der Herr ihn aus seinen Pflichten entließ, denn außer dem Unterricht hatte Matthes natürlich seine Aufgaben wie jeder andere Bursche auch, dann schlich er sich meist heimlich hinter den Rücken der Mägde in die Küche, verkroch sich hinter einen Haufen Wolle und lauschte ihren Liedern und ihrem Mägdegeschwätz.
Oft waren ein halbes Dutzend Mädchen und Frauen in der Stube, graue, die so alt waren wie Johanna, mürrische, die von ihrem Herrn oder der Hausfrau den ganzen Tag von Hinz zu Kunz gejagt wurden und denen nun die Finger viel zu weh taten, um nach dem Tagwerk noch Flachs und Wolle zu verspinnen. Da waren junge, dralle, die plappern konnten wie ein Wasserfall und denen anscheinend nichts zu viel wurde. Und da war eine ganz stille, strohblonde, die es Matthes besonders angetan hatte. Sie war die Magd des Zeesenfischers Kamig. Die Arme mußte bestimmt bei der Fischerei kräftig mit zulangen, denn ihr Rocksaum war ständig naß, was außer Matthes aber niemand zu bemerken schien. Lissa hieß sie, auch wenn sie von allen nur Lise gerufen wurde. Sie war die fleißigste von allen, was man leicht an den vollen Spindeln abzählen konnte, die sie nach Hause trug, wenn der Abend vorüber war. Wahrscheinlich, weil sie am wenigsten plapperte. Dafür sang sie umso schöner, und deshalb verliebte sich Matthes wohl auch in sie. Heimlich natürlich, Lissa war deutlich älter als er, und hätte es jemand herausgefunden, hätte Matthes wieder einmal nur Hohn und Spott geerntet!
Niemals vorher hatte Matthes ein Mädchen mit längeren Haaren gesehen. Dabei war die ganze Haarpracht nur zu erahnen, denn Lissa trug sie stets zu einem einzigen, dicken Zopf geflochten. Wenn sie zu singen begann, verstummten die anderen Mägde im Raum. Wenn sie über die Straßen lief, schauten sich alle Burschen nach ihr um. Und würde sie je ihren Zopf lösen und die Haare auseinander schütteln, würde die Sonne erblassen. Sie war ein engelsgleiches Wesen, doch sie schaute immer nur traurig und Matthes hätte sie zu gern gefragt, was sie bedrückte. Aber jedes Mal, wenn er hinter ihrem Rücken zu seinem Wollhaufen schlich, schlug sein Herz wie toll und er wußte, daß er es niemals fertigbringen würde, sie anzusprechen.
 
Matthes wurde es siedendheiß unter der Livree. Da war bestimmt noch ein heimlicher Fluch des Hausgeistes, der machte, daß Matthes seine vorlaute Zunge nicht im Zaum halten konnte! Hatte der Herzog ihm jetzt die Tür gewiesen? War das ein Befehl, den er zu befolgen hatte?
Als er sich zum Gehen anschickte, lachte der alte, kranke Mann. „Bleib Er. Und erzähl Er weiter! Wer wird den Krieg gewinnen?“
„Niemand“, antwortete Matthes. „Sie werden viel zu erschöpft sein, um zu gewinnen. Und alle werden es satt haben, das ewige Hauen und Stechen, Morden und Verrecken. Sie werden einfach Frieden schließen und nach Hause gehen und alles Verrecken wird umsonst gewesen sein.“
Wallenstein lächelte. „Keine Sieger? Erschöpft? Wann soll das sein?“
Matthes dachte nach. „In zwanzig Jahren.“
Wallenstein lachte schallend. Die Wache vor seinem Gemach schielte ungläubig zur Tür herein. Alles schien in Ordnung. Aber nichts war in Ordnung! Wallenstein lachte!
„In zwanzig Jahren? Kein einzelner Mensch kann soviel Geld ausgeben, wie sich in zwanzig Jahren Krieg verdienen läßt! Unmöglich, Bursche! Ich würde reicher sein als der Kaiser von China!“
„Ihr werdet in sechs Jahren tot sein!“ beharrte Matthes auf seiner ersten Weissagung.
„Unfug!“ rief der Generalissimus. „Ohne mich wird kein Krieg geführt! Ich bezahle den Krieg, es ist mein Krieg und den lasse ich mir von niemandem nehmen! Auch nicht vom Tod!“ Seine Augen verengten sich. „Der Tod und ich sind Kameraden, die auf derselben Seite der Front kämpfen!“
„In zwei Jahren werdet Ihr des Kommandos über Euer Heer enthoben werden“, sprudelte es aus Matthes hervor. „Ein Feldherr namens Tilly wird Euch in den Rang des Generalissimus Seiner kaiserlichen Gnaden folgen.“
„Tilly!“ spuckte der Herzog aus. „Das glaube ich nicht!“ Dann stutzte er und lachte. „Du bist ein Narr, Bursche! Ein Hofnarr, wie es vielleicht keinen besseren gibt. Wußtest du das?“
Matthes schaute ungläubig.
„Schade, daß Er schon so alt ist. Und viel zu groß. Die besten Hofnarren sind die krüppligen Kleinen, die schon ihr Aussehen so lächerlich macht. Die werden von klein auf gezüchtet. Und in ein Faß gesteckt, wenn sie wachsen, damit sie krumm und schief werden. Was soll ich mit so einem langen Kerl wie dir anfangen? Es ist ein einträgliches Geschäft, Hofnarr zu sein. Die berühmtesten haben es sogar zu Ehren und Vermögen gebracht.“
Matthes wollte in keine Tonne gesteckt werden. Er wollte sich auch nicht für Geld verstümmeln lassen. Schon gar nicht zum Vergnügen eines einzelnen, wenn auch sehr reichen und mächtigen Herren.
„Du würdest damit das Anrecht erwerben, Dinge auszusprechen, an die meine Hofschranzen nicht einmal denken dürfen. Wie wäre es, ungestraft die Wahrheit sagen zu dürfen?“ Wallenstein musterte den Kerl, der da ein wenig teilnahmslos vor ihm stand und die Stirn hatte, Sachen zu sagen, die ungeheuerlich waren. Taktlos. Respektlos. Frech!
Gäbe es den Teufel nicht, gäbe es die Lüge nicht. Und gäbe es die Lüge nicht, wäre die Wahrheit nichts Besonderes. Etwas Normales aber immer und immer wieder auszusprechen, wäre wohl nur Schwatzhaftigkeit. Das wäre etwas für Johanna. Matthes dagegen war doch eher nach dem Notarius geraten.
„General Tilly wird die Heeresführung nur zwei Jahre lang innehaben. Der Schwedenkönig wird ihn bei Breitenfeld besiegen und bei Rain am Lech wird er fallen.“
Abermals schallendes Gelächter. „Endlich eine gute Nachricht! Der fromme Tilly! Er würde fluchen und toben, käme ihm das zu Ohren! Vollkommen unmöglich, Bursche! Der Tilly ist ein großartiger Soldat! Solche Männer sterben nicht auf dem Schlachtfeld. Eine göttliche Vorsehung feit sie gegen feindliche Kugeln!“
Die göttliche Vorsehung oder die Gewalt des Teufels, in die der gute Soldat sich begeben hatte? Matthes zögerte anfangs, doch bald genoß er es, dem Herzog all das über diesen und jeden anderen Krieg zu erzählen, was er wußte. Es bereitete ihm eine diebische Freude, dem Teufel alles, was dieser wissen mußte, in die Hand zu geben im Wissen, daß der Teufel alles als Lüge abtun würde, was Wahrheit war, und daß er ihn so mit seinen eigenen, satanischen Waffen schlug. Dem Herzog rannen die Lachtränen über das Gesicht und Matthes beobachtete es mit grimmiger Freude. Morgen würde Wallenstein nach Stralsund aufbrechen, er würde es belagern und doch nicht einnehmen können. Es würde ihm nichts als Verluste einbringen und ein erstes Kräftemessen mit dem Schweden sein, das zu seinem Ungunsten ausgehen würde. Matthes könnte es ihm sagen, der Herr würde es trotzdem tun! Matthes steigerte sich in einen wahren Rausch hinein, dem Herzog die Wahrheit zu erzählen, und der Herzog fraß ihm aus der Hand.

Aus: „Matthes Spökenkieker“