Gerd Focke

 geboren:

7.4.1927

 verstorben:

 3.4.2016

 

 

 

   

Biografie: 

Geboren in Leipzig. Nach Oberschule, kaufmännischer Lehre, Arbeitsdienst und Wehrmacht Besuch der Schauspielschule. Schauspieler und Rundfunksprecher in Leipzig. Infolge eines Bühnenunfalls Dramaturgie-Assistent, später Dramaturg und Regisseur in Leipzig, Nordhausen und Halle.
Seit 1950 Veröffentlichungen als Schriftsteller. Ab 1955 Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fernsehfunk. 1964 bis 1990 Dramaturg beim Fernsehen der DDR (Studio Halle), Mitbegründer des Fernsehtheaters in der Moritzburg, sowie längere Zeit dessen Leiter. Von 1963 bis 1990 auch als Film-, Fernseh- und Theaterkritiker tätig.

Bibliografie:

Fernsehdramatik:

Skandal in Amsterdam (1959), Der Henker richtet (Ein Geschwister-Scholl-Fernsehspiel, 1960), Der beste Vater der Welt (1965), Die falsche Fährte (1965), Disput nach Mitternacht (1967), Aufenthalt (1968), Geschäft um einen Toten (nach Paul Berndt, 1968), Signal auf Rot und Abendbesuch (nach Otto Gotsche, 1968), Abseits der großen Straßen (1969), Das Haus am Platz (nach Kasakewitsch, 1969, wurde vor Produktion verboten), Der große Coup des Waldi P. (1973), Ein Berg Abwasch (mit Paul Herbert Freyer, 1975), Gefrühstückt wird um acht (1978), Liebe, Schminke und Intrigen (Schauspielereien, 1978), Ein total verrückter Einfall (nach Carl Lauffs, 1981), Immer dasselbe Lied (Schauspielereien, 1987), Auf Zuschauerwunsch (1990, nicht mehr produziert) u.a.

Bühnenstücke:

Sie tragen wieder Ritterkreuze (1954), Gefährliches Schweigen (1959), Skandal um Meegeren (1960), Weißt du, wo du zu Hause bist? (1963), Peter und der Roboter (Puppenspiel, 1964), Bob fährt nach Afrika (Puppenspiel, 1967), Fronten (1968), Stachelbauch der Erste (satir. Puppenspiel, 1969), Fünfmal die Drei (1974), Der Rotbart (1977), Rinaldo Rinaldini – der korsische Wolf (nach C. Vulpius, 1984), Der tolle Ferdinand (1987), Nachtgestalten (1987) und viele weitere.

Kinderhörspiele:

Oljas große Tat (1953), Catalin mit den Goldlocken (1954), Wir schweigen nicht (1955), Verfasser unbekannt und In tyrannos (1956), Die Neuberin und Der weite Weg (1957), Karl Brinkmann (4 Teile) und Isa und Wolfried (1958), Um Deutschland geht’s (1959) und 10 weitere

Kriminalhörspiele:

Redaktionsschluss (1979), Tee für Inspektor Whitechappel (1980), Kondolenzbesuch (1983), Spätes Rendezvous und Gangster und Ganoven (1985), Das Doubel (1986), Im Schatten der Eiche (1989) u.a.

Prosa-Veröffentlichungen in verschiedenen Anthologien

Arbeitsgebiete:

Fernsehspiele, Theaterstücke, Hörspiele, Literaturkritik, Erzählungen

Textprobe:

Trotzdem will er einen letzten Kaufversuch unternehmen. Es muss doch irgendwo in dieser Stadt kleinöhrige Nähnadeln geben. Entschlossen steuert er auf ein gerade eröffnetes neues Haus zu. Es sei die allermodernste Konsumbedürfnisanstalt der Stadt. Alles sei vom Kaufprinzip her bereits voll auf das dritte Jahrtausend eingerichtet und organisiert. Verkaufspsychologen, Chipkarten, Laufzettel und computergesteuerte Fließbänder machten jeden Einkauf zu einem Erlebnis. Die Presse hatte sich in ihren Lobpreisungen förmlich überschlagen.
Ihn wundert, dass das neue Unternehmen ganz auf Außenwerbung verzichtet. Dafür verspürt er ein dumpfes Grollen unter seinen Füßen, als er das Haus betritt. Und es betreten gleich ihm viele das Haus.
In ihm gibt es keine Glasregale und auch keine durchsichtigen Stockwerke. Vielmehr gibt es überhaupt nichts. Keinerlei Waren sind zu sehen. Dafür drückt ihm ein menschlich anzusehender Roboter einen Zettel in die Hand. Einen Laufzettel, wie er feststellt.
Sekunden später steht eine der Verkaufspsychologinnen neben ihm. Ihr Charme ist entwaffnend und ihre Erscheinung unbeschreiblich. Sie hakt sich sofort bei ihm unter und erklärt ihm, dass er recht blass sei.
Er versucht das mit seinem eben gehabten Erlebnis zu erklären, doch sie hält ihm den Finger vor den Mund. Ursachen seien unwichtig, erklärt sie ihm. Allein ihre Beseitigung sei von Bedeutung.
Damit führt sie ihn in ein Solarium. Dort werden ihm von zwei grazilen, gerade dem Kindesalter entwachsenen jungen Mädchen in Windeseile die Sachen vom Körper gestreift, auf ein Fließband geworfen und, trotz seines Protestes, in rasender Geschwindigkeit entführt. Dann geleiten ihn die beiden Rehäugigen zu einer Lagerstätte, auf die sie ihn hinbetten. Sekunden später umfängt ihn eine erwärmende, belebende Lichtfülle. Er spürt, wie ihn ein neues Selbstgefühl wie ein Rausch durchströmt.
Das sei ihr Optimismusbad, erklärt ihm die plötzlich wieder an seiner Seite aufgetauchte Psychologin. Dabei weist sie ihn auf eine völlig neue Bekleidung hin, die statt seiner alten für ihn bereitliegt.
Er versucht etwas zu sagen, aber die Rehäugigen sind schon dabei, ihn anzukleiden. Und alles passt wie angegossen. Auch seine Papiere und seine Geldbörse findet er in den Taschen wieder. Das sei ihre computerpsychologische Bekleidungserneuerungsmethode, die voll auf die Kundenbedürfnisbefriedigung eingestellt ist. Sie analysiere sekundenschnell seine psychische Verfassung, seinen Geschmack und den seiner Stellung entsprechenden Bekleidungshabitus. Er habe den Grad drei, erklärte sie ihm weiter, ohne ihn dabei wissen zu lassen, ob diese Skala nach oben hin offen sei wie bei der Richterskala der Erdbebenmessungen.
Offensichtlich gehört das auch zur Verkaufspsychologie, dem Kunden das Selbstwertgefühl zu steigern. Drei, das liegt in der Mitte, oder könnte das Ende sein, aber auch eine sehr geringe Bewertung.
Die Psychologin führt ihn weiter, nicht ohne vorher seinen Laufzettel in den Schlitz eines Verkaufscomputers geschoben zu haben. Eine ganze Zahlenkette druckt er aus, dem Laien absolut undurchschaubar. Dann fragt sie ihn nach seinem Begehr.
Und er nennt seinen Einkaufswunsch: kleinöhrige Nähnadeln.
Wieder trifft ihn ein vernichtender Blick, vergleichbar dem des Grauhaarigen im vorigen Etablissement. Nur charmanter verbrämt. Er sei Grossist, konstatiert sie. Und ehe er antworten kann, wird von ihr nach dem Begleiter 47 gerufen.
Blitzschnell ist der zur Stelle und übernimmt die weitere Betreuung.
Obwohl er ungern von der charmanten Psychologin Abschied nimmt, vertraut er sich nun dessen Führung an. Durch ihn, so hofft er, wird endlich sein Kaufwunsch nach kleinöhrigen Nähnadeln erfüllt werden.
Der Mann im mittleren Alter geleitet ihn in die Abteilung Metallwaren.
Ob das die richtige Spezifizierung für seinen Wunsch sei, erkundigt er sich vorsichtig.
Nadeln sind aus Metall! Und schon schießt auf Knopfdruck des Begleiters auf dem Fließband eine Kiste beträchtlichen Ausmaßes heran.
„Bitte!“ Der Begleiter deutet auf das Monstrum.
„Was ist das?“, erkundigt er sich.
„Ihr Sortiment: Zehntausend Stopfnadeln, zehntausend großöhrige Nähnadeln, zehntausend Stricknadeln, zehntausend Maschinennadeln, zehntausend Maschinennadeln für Leder ...“ Der Begleiter will gerade erneut die Zahl Zehntausend nennen, da fällt er ihm ins Wort: „Und kleinöhrige Nähnadeln?“
„Sind nicht mehr im Sortiment. Die Kleinstiche werden für alle Firmen der EU in Thailand ausgeführt.“

Aus: „Der apokalyptische Nadelkauf“