Anneliese Probst

 geboren:

23.3.1926

 verstorben:

10.10.2011

 

 

 

   

Biografie:

„Am 23.3.1926 wurde ich in Düsseldorf geboren. 1933 zogen meine Eltern nach Halle/S. Dort besuchte ich die Schule, die ich 1944 mit dem Abiturzeugnis verließ. Im gleichen Jahr heiratete ich meinen ersten Mann Dr. Matthias Probst. 1945, 1947 und 1957 wurden unsere drei Söhne geboren.
Ich habe keinen Beruf erlernt, begann etwa 1946 mit dem Schreiben. Es entstanden Kinder- und Jugendbücher, später Erzählungen und Romane für Erwachsene. Von 1952 bis 1953 arbeitete ich als Dramaturgin beim Kinderfilmstudio der DEFA. In dieser Zeit schrieb ich das Szenarium zu meinem Spielfilm ‚Der Teufel vom Mühlenberg‘.
Nach dem Tode meines ersten Mannes heiratete ich den Pastor Christof Seidler. 1978 zogen wir von Halle nach Beesenstedt. Hier war mein Mann bis Herbst 1994 als Pfarrer tätig – und ich als die dazugehörige Pfarrfrau. Im Februar 1997 zogen wir aus dem Pfarrhaus in eine nahegelegene Wohnung. Im März 1997 starb mein Mann sehr plötzlich. Mein vorläufig letztes Buch ‚Das lange Gespräch‘ setzt sich intensiv mit den Fragen des Sterbens und des Todes auseinander.
Insgesamt sind von mir 50 Bücher erschienen in einer Gesamtauflage von etwa 1,7 Mio. Exemplaren. Es gibt Übersetzungen ins Bulgarische, Chinesische, Norwegische, Russische, Tschechische und Amerikanische. Von besonderer Bedeutung für mich waren die Begegnung mit Ricarda Huch auf dem ersten gesamtdeutschen Schriftstellerkongress und die Bekanntschaft mit Heinrich Böll. Dem Schriftstellerverband der DDR gehörte ich von seiner Gründung bis zu seiner Auflösung an.“

Bibliografie:

Das Wunderpferdchen, 1950, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Schnurz, Abenteuer eines Brunnenmännchens, 1953, Berlin, Kinderbuchverlag
Sagen und Märchen aus dem Harz, 1954, Berlin, Altberliner Verlag
Schulgeschichten, 1955, Berlin, Kinderbuchverlag
Sommertage, 1955, Berlin, Altberliner Verlag
Ferien mit Susanne, 1956, Köln, Winkler-Verlag
Der steinerne Mühlmann, 1956, Berlin Kinderbuchverlag
Gespenstergeschichten, 1956, Berlin, Kinderbuchverlag
Sagen und Märchen aus Thüringen, 1957, Berlin, Altberliner Verlag
Begegnung am Meer, 1957, Weimar, Gebrüder-Knabe-Verlag
Einsteigen bitte!, 1959, Berlin, Verlag Neues Leben
Sabine und Martin, 1960, Berlin, Altberliner Verlag
Geschichten aus der 3a, 1960, Berlin, Altberliner Verlag
Ich und du, Erzählungen, 1960, Berlin, Union Verlag
Wir brauchen euch beide, 1962, Berlin, Union Verlag
Nein, diese Hanne, 1962, Berlin, Verlag Neues Leben
Die fröhliche Insel, 1964, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Altweibersommer, 1964, Berlin, Union Verlag
Schatten, 1965, Berlin, Union Verlag
Reifeprüfung, 1965, Berlin, Union Verlag
Die verborgene Schuld, 1966, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Menschen in der Heiligen Nacht, Erzählung, 1966, Berlin, Union Verlag
Die letzten großen Ferien, Erzählung, 1967, Berlin, Verlag Neues Leben
Die Pause, 1969, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Das Wiedersehen, 1970, Berlin, Union Verlag
Träumen mit der Feder, 1971, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Menschen wie ich und du, Sammelband, 1971, Berlin, Union Verlag
Das Fräulein vom Hochhaus, 1972, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Ein Zeltschein für Dierhagen, 1972, Berlin, Verlag Neues Leben
Vergiss die kleinen Schritte nicht, 1974, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Die fünf aus Nr. 19, Erzählung, 1974, Berlin, Union Verlag
Die Christvesper, 1975, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Das weiße Porzellanpferd, Erzählung, 1976, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Die schöne Kuline, Märchen, 1976, Berlin, Kinderbuchverlag
Die unentwegte Großmutter, 1978, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Karlchen, 1979, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Nenni kündigt nicht, 1980, Berlin, Verlag Neues Leben
Die Legende vom Engel Ambrosio, 1981, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Unterwegs nach Gutwill, 1982, Berlin, Union Verlag
Rund um den Taubenturm, Erzählung, 1984, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Stationen, Roman, 1984, Berlin, Union Verlag
Orchesterprobe, 1986, Berlin, Verlag Neues Leben
Lieber Gott, hörst du mich?, 1987, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Annettes Stern, Erzählung, 1989, Berlin, Evangelische Verlagsanstalt
Traumtänzerin, 1991, Berlin, Verlag Neues Leben
Mein Wintertagebuch, Roman, 1995, Gößnitz, Freiberger Verlag
Von Whisky, Wodka und anderen Lieblingen, Erzählungen, 1996, Querfurt, Dingsda-Verlag
Das lange Gespräch, Erzählung, 1998, Querfurt, Dingsda-Verlag
Steh-auf-Lieschen, Erzählung, 1999, Querfurt, Dingsda-Verlag
Auf der Suche nach dem Kind, Weihnachtserzählungen, 2000, Leipzig, Evangelische Verlagsanstalt
Die Steinerne Blume, 2001, Leipzig, LeiV-Buchhandelsverlag

Arbeitsgebiete:

Erzählungen, Romane, Märchen

 

Textprobe:

Gepriesen seien die ganz alltäglichen, sich immer wiederholenden Tätigkeiten! Aufstehen, die Katzen versorgen, eine Tasse Kaffee trinken, die Wohnung in Ordnung bringen, zur Kaufhalle fahren, den Blumen frisches Wasser geben ...
Für Dich habe ich einige Zweige von den Sauerkirschen abgebrochen, nun blühen sie hier auf Deinem Schreibtisch über Deinem Bild. Der ständige heftige Wind hat unsere Hollywoodschaukel endgültig entschärft. Schief und krumm lehnt sie jetzt am Drahtzaun, den Du so gut repariert hast. Wir haben beide in diesem Frühjahr hier noch auf ihr gesessen! Wir haben uns fest an den Händen gehalten und über die Bäume hinweg in den Himmel geschaut, dabei hast Du mir gesagt, welche Arbeiten Du noch vorhattest, was getan werden müsste, damit wir es ringsum schön hätten. Denn schön wollen wir es doch haben, sagtest Du, so richtig schön auf unsere alten Tage!
Wo magst Du jetzt sein? Stehst Du neben mir, hauchst Du mir einen Kuss aufs Haar und versetzt mir gleichzeitig einen leichten Rippenstoß: Nicht schwach werden, Mädchen, weitermachen!?
Wozu? Ich habe im Grunde für Dich gelebt. Für Dich – für uns – und erst dadurch für andere. Jetzt also die Frage: Wozu?
Und doch scheint die Sonne, und doch genieße ich ihre Wärme, und doch pflücke ich auf dem Alten Friedhof den ersten Strauß Gänseblümchen, nun blühen sie auch hier auf Deinem Schreibtisch. Wie ist das zu vereinen: die Leere, die Traurigkeit, die Tränen – und zugleich Alltägliches tun wie bisher?
Tine wird mich bald besuchen. Ihr Mann ist an Alzheimer gestorben, in seinen letzten Lebensjahren war er für sie fast ihr Kind. Du warst bis zur letzten Minute ein Teil von mir, mein Mann, mein Kamerad – wenn Ihr Euch liebt, dann heiratet, hat Tine damals gesagt. Gott – falls es ihn gibt – hat Euch aufeinander zugeschoben. Also ...
Falls es ihn gibt ...
Sie kann nicht beten. Ich kann zur Zeit auch nicht beten. Aber im Augenblick kann ich lächeln: Da sehe ich uns mit sechs Konfirmanden in Tines Garten, ich habe das Essen aufgetragen, Ihr habt Hunger – da rutscht langsam, sehr langsam, die Gartenbank mit vier fröhlichen Jungen in sich zusammen, und wir, nach dem ersten Schreck, lachen, dass uns die Bäuche wehtun.
Gegessen wurde dann doch noch. Später hast Du den Jungen Gespenstergeschichten vorgelesen. Tine und ich saßen auf der Haustreppe, und Tine sagte: Das ist einer, den man liebhaben muss und dem man glaubt, was er lebt und predigt.

Aus: „Das lange Gespräch“

 

Als wir die alte Küchenbank in den Container warfen, hatte ich das Gefühl, als würde ich mich von einem Stück meines Lebens trennen, die Küchenbank, die Sorgenbank - nun fort, auf den Müll!
Die Küchenbank gehörte zu unserer Küche daheim. Ich saß auf ihr, wenn ich meiner Mutter beim Kochen zusah, ich saß auf ihr, wenn ich wieder einmal hingefallen war und Mutter meine aufgeschlagenen Knie verbinden musste, ich saß auf ihr, wenn ich meine Lieblingspuppe ausgefahren hatte und nun heimgekommen war und ihr Jacke und Mütze auszog. Die Bank gehörte zu meinem Kinderalltag, kein Wunder, dass sie auch einen Platz in meiner Küche fand, als meine Mutter nach dem Tod meines Vaters bei uns blieb. Wir beiden Frauen saßen zuweilen auf ihr und schwatzten, und wenn meine Enkeltöchter ins Pfarrhaus zu Besuch kamen, war die Bank ihr Lieblingsplatz; nicht selten erfuhr ich beim Kochen ihre Kinderprobleme, und nicht selten setzte ich mich dann zu ihnen und gab Ratschläge, die freilich selten befolgt wurden.
Und nun: fort damit! Das tat weh! Ich wollte diesen Schmerz nicht wahrhaben, ich versuchte, ihn wegzuwischen, das gelang notdürftig. Der Schmerz, den ich nach Kriegsende empfand, als amerikanische Soldaten vor unserem Haus ein Siegesfeuer entzündeten und ich hilflos zusehen musste, wie meine Puppen ins Feuer geworfen wurden und verbrannten, hielt dagegen lange an.

Aus: „Geschenkte Zeit“