Ursula Patzschke

 geboren:

11.9.1929

 verstorben:

18.7.2001

     

Biografie: 

Geboren in Halle, Mittelschulabschluss 1946, Kaufmannslehre, Büroangestellte. Wegen fortschreitender Sehschwäche 1965 als Telefonistin eingesetzt. Langsame Erblindung bis zur vollständigen Sehuntüchtigkeit. Seit Mitte 1975 Mitglied in verschiedenen Gruppen Schreibender.

Bibliografie:

Ich wünschte, meine Verse wären Augen, Hallesche Autorenhefte Nr. 6, 1997, Halle, Förderkreis der Schriftsteller

Beteiligung an Anthologien:

Eröffnungen, 1996, Halle, Literaturbüro Sachsen-Anhalt Süd
Stunde der Phantasten, 1996, Halle, Literaturbüro Sachsen-Anhalt Süd
Wer dem Rattenfänger folgt, 1996, Halle, Förderkreis der Schriftsteller
Ich tanze nicht mit meinem Spiegelbild, 1998, Leipzig, Verband Altenkultur
Lesestücke für Sehleute, 1998, Münster, LITVerlag
Fadelnudeln und Fliederblüten, 1998, Halle, Senioren-Kreativ-Verein
Versuchungen, 1999, Oschersleben, dr. ziethen verlag
Unter Leute gehen, 1999, Leipzig, Dialog e.V.
Verrückt nach Leben, 1999, Oschersleben, dr. ziethen verlag

Weitere Veröffentlichungen von Lyrik, Kurzprosa und Fachartikeln in Zeitschriften, gelegentlich im Ausland.

Arbeitsgebiete:

Lyrik, Kurzprosa

Textproben:

Wunsch

 

Ich wünschte, meine Verse wären Augen,
damit du durch sie entdeckst,
wie einmalig dein Leben ist
und wie gefährdet.

Ich wünschte, sie hätten einen Mund,
um dir ins Ohr zu flüstern,
was zwischen meinen Zeilen steht.

Ich wünschte, sie hätten Hände,
dir deine Sorgen wegzustreicheln,
doch auch, dich aufzurütteln aus deiner Gleichgültigkeit.

Ich wünschte, sie hätten Beine,
um mit dir zu geh’n,
durch deinen Alltag und durch deine Träume.

Ich wünschte, meine Verse wären mehr
als schwarze Zeichen
zwischen flüchtig umgeblätterten Seiten.

 

Aufbruch

 

Nicht mehr schlafend und noch nicht wach,
die Erde räkelt sich ein bisschen,
bereit, am ersten Sonnentag
zu explodieren.
Dann steckt sie sich ins grüne Haar
die frechen Krokusfarben
und überzieht das knorrige Gehölz
mit weißem Schaum.
Sie lässt aus blätterlosen, dürren Ruten
Kaskaden gelber Funken sprühen
und serviert den ersten Trunk
den Bienen in pastellnen Tassen,
zart wie Chinaporzellan.

Wo sind die Nebel, die mich fast erstickten,
die Dunkelheit, die mich verzweifeln ließ,
gab es je Frost, der meine Kräfte lähmte
und meine Wünsche werden ließ zu Stein?
Nicht Stein – nur Frost, sie waren eingefroren
und tauen nun im Duft der Hyazinthen
und füllen mich mit neuer Hoffnung an.

 

Unaufhaltsam

 

Mir ist, als sinke ich seit Jahren,
durch ständig wechselnde Schattierungen
aus Hell und Dunkel.
Wie lange sink’ ich noch.
An jedem Tag verlier’ ich eine Winzigkeit,
nur eine Linie, oder die Kontur,
und jedes Jahr wäscht mehr die Farbe aus den Dingen,
unaufhaltsam schmilzt die Welt.

Ich sammle darum, was ich kann,
und schichte Bild auf Bild mir
im Zettelkasten der Erinnerungen.
Willkürlich ordnet das Gefühl.
Selbst das Geringste ist, hat man ’s verloren, schön,
das Ungescheh’ne aber, das Versäumte, schmerzt.

So wie ein Bettler nicht auf Reichtum hofft,
wer hungert, Brot nur will, sonst nichts,
so dürst’ ich nach dem frühen Sonnenstrahl,
der auf der weißen Wand zerbricht,
sich so, nur so, an mich verschenkt.
Wenn eines Tags er nicht mehr kommt,
bin auf dem Grund ich angelangt.

 

Das Wort

 

An dunklen Tagen brauche ich das Wort,
das du mir schenkst, das durch den Panzer dringt,
das kühlen Hauch auf meine Wunden legt
und mich erwärmt, wenn mich der Frost durchdringt.

An dunklen Tagen brauche ich das Wort,
das ich vertraulich sprechen kann zu dir,
das mich erlöst aus Angst und Einsamkeit,
mich hält, wenn ich mein Gleichgewicht verlier’.

Aus: „Ich wünschte, meine Verse wären Augen“