André Schinkel

 geboren:

27.4.1972

 Adresse:

Hardenbergstraße 3      06114 Halle

 Telefon:

0345 / 208 37 36

 E-Mail:

andre_schinkel_m.a@gmx.de  

Biografie:

Geboren in Eilenburg(Sachsen). 1988 bis 1991 Ausbildung zum Rinderzüchter mit Abitur in Halle und im Saalkreis. Studium der Germanistischen Literaturwissenschaft und der Prähistorischen Archäologie, Abschluss als Magister Artium im September 2001. Zur Zeit freier Autor. Zwei Töchter. Lebt in Halle und Holzweißig bei Bitterfeld.
Georg-Kaiser-Förderpreis des Landes Sachsen-Anhalt 1998. Hallescher Stadtschreiber 1998/99. 1. Halbjahr 2002 Stipendiat der Stiftung Kulturfonds.

Bibliografie:

durch ödland nachts, Gedichte, 1994, Halle-Zürich, Verlag Janos Stekovics
tage in wirrschraffur, Gedichte, 1996, Halle-Zürich, Verlag Janos Stekovics
Verwolfung der Herzen, Gedichte und Prosagedichte, 1997, Berlin, Edition Maldoror
Sog, Prosa, 1997, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Karawane des Schlafs, Gedichte, 1998, Berlin, Edition Maldoror
Die Spur der Vogelmenschen, Gedichte, 1998, Halle, Mitteldeutscher Verlag
Herzmondlegenden, Prosa, 1999, Bernburg, Edition Augenweide
Abgesteckte Paradiese, 2000, Halle, Förderkreis der Schriftsteller in Sachsen-Anhalt
Sommerserife, Ein Gedicht und ein Nachsatz, 2000, Halle, Verlag Janos Stekovics
Selbstung. Ein innerlicher Abri, Essay, 2001, Bernburg, Edition Augenweide

Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitungen (Die Zeit, Mitteldeutsche Zeitung), Zeitschriften (ndl, Herzattacke) und Anthologien

Arbeitsgebiete:

Lyrik, Prosa, Essay, Aufsatz, Mitherausgabe

Themenangebote:

1. Öffentliche Lesungen aus den Veröffentlichungen und Manuskripten
2. Schullesungen für die Klassenstufen 11 bis 13
3. Mastaba – Eine Performance mit Ralf Meyer und der Band „Indian Summer Sky“
4. Vorträge und Ausstellungseröffnungen nach Vereinbarung

 

Textprobe:

entre dos tierras

 

zwischen zwei ländern wenn ich
in grausamen einsamen betten abliege

schweiß und staub auf meinen brüsten
talg und die geräusche des herbstes

in hinteren höfen. selten geht ein wind
durch die jalousetten selten ein winter

denn kränkender sommer ist allemal
und mit schirmen umher gehen die frauen

borkenkäfer in der wange versteinert
wenn sie mich finden – im fieber der ernte

 

Ein Ausflug aufs Land

Es hatte den Reisenden in eines dieser Dörfer am Horizont getrieben; er hatte von den lärmenden Städten übergenug; über Stoppelkrume lief er, durch haushohen Ampfer.
Riesiges gelbbraun gesprenkeltes Blätterwerk schwankte an armstarken Stielen, Getier kroch ihm durchs Haar; nach der Sonne richtete er sich stolpernd, ihrem Untergang, und mit dem völligen Versinken des Sterns hatte er den nun schon in abendlicher Stille liegenden Anger erreicht, der den Dorfteich umbog, einen Tümpel eher, an dem die Kröten quarrten und auf dem Enten in Erwartung der anbrechenden Nacht schwammen, die Köpfe schon halb im Gefieder, müde vom Gründeln und Rudern.
Er ging an verriegelten Höfen vorbei, aus denen noch Hundegebell drang, Kinderschluchzen zuweilen, ein Abendgebet. Vereinzelt brummte ein Rind oder blökte ein Schaf.
Er suchte die Wirtschaft und kam bald an ein Haus, das sich verriet durch lebhaftes Licht in den Fenstern.
Und er hörte das Gemurmel der Bauern, das regelmäßige Aneinanderklacken der Seidel; trat ein, und das Gemurmel erstarb, doch schien ihn der Wirt zu erkennen und wies ihm einen Platz zu, stumm, mit einer müden Kopfbewegung.
Der Wirt zapfte ein schauderliches Bier in dieser Schenke. Aber das Gebräu beruhigte den Reisenden bald; und es war ihm angenehm, den Gesprächen der Bauern zu lauschen, nachdem er sich an ihren Dialekt gewöhnt hatte, der nur für Eingeweihte gemacht schien.
Es war gut, den Blick durch die verrauchte, aus roh gehauenem Holz gezimmerte Stube streifen zu lassen, allmählich den Sinn der Gespräche erfassen zu glauben. Der Reisende bestaunte das riesige Kummet, das, einer Tafel zufolge, dem stärksten Ochsen im Dorf gehört hatte und der in einer Zeit der Not geschlachtet und gemeinsam aufgegessen wurde, wofür dem Besitzer (und Vorsteher des Ortes) ewiger Dank gebühre.
Die Biere, die der Reisende in sich kippte, verwandelten alles, den Schankraum, die murmelnden und streitenden Bauern in buntes Gekreisel, verkleckerten Malzschaum, lebhaftes Ochsengedröhne ... und bald, bevor er über seinen Tisch gebeugt einschlief, sah sich der Reisende als einen der lautesten und vorgeblich klügsten Zänker um das heurige Grummt der verschiedenen Wiesen und Höfe.
Als der Reisende erwachte, lag er an seinem Tisch, zwischen zerbrochenen Seideln, von fettigem, klebrigem Staub bedeckt, in der Wirtschaft. Die wenigen tief verhärmten und gealterten Leute vor dem Schenkengebäude musterten ihn wie einen Fremden, nicht aber wie den, als er hergekommen war. Die Fenster der Wirtschaft waren vernagelt, ein verblichenes Schild kündete immer noch der Schließung der Schenke. Angst beschlich den Reisenden und die Ahnung, sich schnell entfernen zu müssen; nur weg!, dachte er und der möglicherweise zwanzig oder fünfzig Jahre, die er geschlafen haben musste. Und er stahl sich davon, ohne, wen auch hätte er ansprechen können, nach seiner Zechschuld zu fragen, die er mit seinem verfallenen Geld womöglich nicht hätte begleichen können. Aber seine Flucht kam zu spät, denn als er in plötzlicher Panik zu laufen begann, durch das Spalier der Alten, an zerfallenen Häusern vorbei, dem ausgetrockneten Teich; als er zu laufen begann, übertrat er den in golden schreiender Helle liegenden Horizont und fiel gegen die Sonne in eine unbeschreibliche, unstillbare Weite; aus dem Gesichtfeld der staunenden, befremdeten Greise immer hinfort.

 

Ein Baum in der Wüste

 

Übelkeit wächst in den Fugen
der Hölzer. Die großen Landschaften fallen
herab, ihre erbärmlichen Seelen zer-
fallen zu Schutt. So geht
Scheitern. Die Haut deines Leibs
trägt die Tätowierung der Angst, in
deinem Atem schwingt wortloser
Jammer. Grau überfällt deine Sprache,
wenn du sie regst und dich nach dem
Fleisch erkundigst. (Du bist, sagst du,
dem Abbild der Liebe verpflichtet,
wie die Mumien der Seidenstraße, noch
umklammert im Tod.) Und dort ist auch kein
Trost, im hüllenden Sarg aus Kamelhaut,
der, wie nichts in der Wüste, jemals
vergeht. Und so stehen auch seit Aeonen
die wenigen Bäume, das Holz zerrissen wie
Erde, in einem regenlosen Jahrhundert.
Denn du irrst dich, wenn du den Sand nennst,
denn dort, in den Körpern, ist es nur
schwarz. Ist es nur schwarz, und regt sich
die verstohlene Geste des Nichts.
 

 

An der Saale

Goldene Drift im herbstlichen Gleichklang der Schritte:
Sonst legt Stille dich fest: an den verlassenen Rändern
Des Flusses, wo dich das Ufergras einschnürt.
Düster und baumlos sind unsere Träume, aber hier
Stehen sie noch, geduckte Gefährten, groß und
Spröde vor Mitschweigsamkeit. Seltsames Warten
Unter gelben, orangefarbenen Himmeln, ferner,
Als dass man es ahnt, die Lichter der Menschen,
Die da im Götterzorn leben und es die Göttlichkeit
Nennen: Halle Landsberg Wettin: versinkende Städte,
Oder schon der Vertrocknung anheim ... ihrer
Bewohner, in Straßen, gepflastert mit Bärenkalotten.
Aber hier, hier bist du getröstet, hier ruht der
Zauber noch aus, ohne Statistik, und die Geister
Der Alten, in der Luft und den Bäumen, nicken
Besänftigt und beschützen den Blick, der ihnen im
Augennass treibt. Du zeichnest in die Iris den Spiegel;
Dich selbst, einen Baum, zeichnest du ein und die
Läufe des Flusses, der sich durch dich und die Alten
Hindurch teilt. Du siehst, vor deinem orangefarbenen
Himmel, die Geister der Ahnen, schwach ihre Konturen
Im Halblicht wie Rauch; und sie tanzen und singen
Und lächeln dich an; Moustérien-Steine klacken,
Handspitzen Schaber; der Gestirn-Ocker schreit, der
Himmel fängt Feuer ... und du sitzt und schweigst
Und vereinst dich mit den Göttern, solange die
Menschen ihren krummen Geschäften nachgehn.
Aber der Fluss ist das Bett und die Rückkehr: dort
Wollen wir hin; und du zeichnest auf den Spiegel des
Flusses die Augen der Geister, eine seltsame
Heimstatt, in der sich die Schatten der Ahnen ver-
Doppelt sehn mit sich selbst. Du malst auf die Augen
Der Ahnen die Augen des Spiegels des Flusses,
Und du selbst bist gespiegelt darin, ein Baum: ein
Facettiertes, getuschtes, pastelliertes Aufleuchten der
Zweige, in denen die Augen der Ahnen nun wohnen,
Ein fröhlicher Tanz entlaubter Kristalle. Die Augen
Der Geister gemalt gezeichnet in Luft und auf den
Spiegel des Flusses, Äste darin, orangefarbene Himmel
Über versinkenden Städten: Halle Wettin auf der
Höhe, Landsberg lange schon flusslos, auf verlorenem
Posten. Du sitzt in den Augen der Geister des Flusses
Und malst deine Augen in den Spiegel der Augen
Des Flusses; dich sehen die Ahnen jetzt an, ihre
Schlagschatten im Halblicht, und durch das alles
Walzt gemächlich der Strom, bereit das Land zu
Verschlingen, die ferneren Städte, das Augenauf-
Schlagen der Geister, in dem du dich spiegelst; und wie
Götter sich spiegeln im liquor ihrer zukünftigen Blicke.
Und während du sitzt, gehen die Schritte dir nach,
Auf denen du herkamst, und ich lehne, der Hauch eines
Geistes vielleicht, auf deiner Schulter, und sehe unser Sich verzweigendes Bild in den Augen des Flusses.
 

 

An den nachtblauen Falter

Auf dich, Schmetterling, habe ich den ganzen
Tag schon gewartet, deine meerblauen
Schwingen. Unruhig durchlief ich die Nacht,
Am frühen Mittag begann ich zu trinken,
Weil: ich hielt die Erwartung nicht aus. Und nun
Wieder Nacht, und mein Kopf voller Wein,
Und der Schlaf kommt nicht, bevor du nicht
Kommst. Weithin dein Flug, von der
Baltischen See her, und immer zu mir, auf der
Flucht vor den Krähen, die aus Norwegen
Sind. Dein Blick – süd-skandinavisches Licht
Unter der gleichmäßigen Schwinge,
Wenn du in den heimischen Schlag kehrst,
Nektarperlen im Pelz und Blütenstaubduft: Auf
Dich habe ich den ganzen Sommer gewartet.