Erhard Wenzel |
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geboren: |
22.6.1940 |
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verstorben: |
23.5.2006 |
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Geboren in Berlin-Karlshorst. Nach der Mittleren Reife Maurerlehre, Studium zum Hochbau-Ingenieur und Dipl.-Ing.
Bautechnologie, Holzschutzfachmann.
1968 Umzug nach Halle, tätig als Projektant. 1989 aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen, Übersiedlung nach Bayreuth und Kulmbach, Bauleiter.
1995 Rückkehr nach Halle, seit 2004 Rentner.
Seit 1985 Schreiben von Kurzgeschichten und Gedichten, seit 1985 Zirkel Schreibender Arbeiter in Halle.
2001-2003 Fernstudium an der Axel-Anderson-Akademie.
Heitere Kurzgeschichten, Sammelband, 2004, Halle, projekte-verlag
Ein Kurerlebnis, Gedicht in Anthologie, 2004, München, Nationalbibliothek des deutschsprachigen Gedichtes
Zither-Reinhold, 2006, Halle, projekte-verlag
Gedichte, Kurzgeschichten, Erzählungen
Ein Kurerlebnis Zärtlich küsste ich Christine Leise fing sie an zu weinen Lange Zeit ist schon vergangen, |
Die Probelesung
Nach sechs Wochen täglichen Schreibens und nächtlicher Zweifel war endlich mein erstes Gedicht fertig. Voller Stolz und mit klopfendem Herzen informierte ich
hierüber die vier Mitglieder unseres Poetenclubs, die mich stürmisch baten, mein Kunstwerk vorzutragen. Ich aber brauchte Bedenkzeit, denn mein Lampenfieber vor
diesem erlesenen Personenkreis war einfach zu groß. Mein Freund gab mir einen heißen Tipp und empfahl mir erst einmal eine hausinterne Probelesung.
Der Rat war gut, aber es fehlte mir ein geduldiger Zuhörer. Mein Freund hatte plötzlich dringende Termine, und meine Frau drohte mir mit Liebesentzug, falls ich sie mit
meinem poetischen Erguss behelligen sollte. Schließlich gelang es mir doch, jemanden aufzutreiben. Er war langhaarig, trottelig und maulfaul, aber es war ja auch nur eine
Probelesung.
Ich bat ihn, auf dem Sofa Platz zu nehmen,. hüstelte kurz und fixierte meinen Gast. Er machte es sich bequem und schaute mich aufmerksam an.
Da fasste ich mir ein Herz und begann mit hoher Stimme meinen Vortrag. Ich variierte die Lautstärke und das Tempo, und an der spannendsten Stelle hob ich den Finger,
um auf den Höhepunkt aufmerksam zu machen. Immer wieder äugte ich zwischendurch auf meinen Gast und hinderte ihn daran einzuschlafen. Offenbar beeindruckten
ihn aber die Verse vom wasserscheuen Teebeutel, denn er blinzelte mir wohlwollend zu.
Schließlich waren meine acht Zeilen verhallt, und ich schloss zum Zeichen, dass der große Wurf verlesen war, die Augen.
Dann begegnete ich dem erstaunten Blick meines Gastes. Ich ließ ihm noch etwas Zeit für den Beifall, bat ihn um Entschuldigung und kümmerte
mich um den
Nachmittagskaffee.
Als ich mit einer großen Torte zurückkam, war mein Zuhörer verschwunden. War mein Gedicht so schlecht, dass er grußlos das Weite gesucht hatte? Aber nein, er lag
unter dem Tisch, schniefte kurz und trank gierig sein Wasser.
Dackel bleibt eben Dackel.
Neues vom Strich
Eduard kam in seiner 30jährigen Ehe nur einmal richtig zu Wort, und das war auf dem Standesamt. Das lag nicht an seiner temperamentvollen Frau
Sabine, eher
an seinem Phlegma. Wie oft schallte ihre helle Stimme durch das Treppenhaus: Eduard, du hast ja schon wieder deinen Schlips bekleckert. Oder:
Eduard, putze endlich die Fenster. Seufzend fügte er sich ihrer stimmlichen Gewalt. Besonders peinlich war ihm, wenn Sabine ihn aufforderte, den Abfall
hinunterzutragen, und er wenig später, zum Gaudium der Hausbewohner, über den Hof trottete. In
solchen Momenten überlegte Eduard,. ob Sabine sein Glück oder
seine Strafe war.
An irgendeinem Dienstag passierte das Malheur: Sabines Gebiss war angebrochen. Eduard, der seine Frau zum Zahnarzt begleiten
musste, hörte befriedigt die Worte
des Doktors: Sie müssen zwei Stunden warten, dann ist alles fertig. Eduard glaubte, nun zwei Stunden Ruhe zu haben, und wollte deshalb in die
Einkaufspassage entweichen, aber Sabine zischte ihm zu: Eduard, wir haben schwei Schtunden Scheit, wir fahren schuschammen. Ja, so klangen ihre
Worte. Eduard hörte sofort, dass Sabine ohne Gebiss statt eines z oder s nur ein sch sprechen konnte.
Ich verstehe dich nicht, Sabine, sagte Eduard.
Wir fahren einkaufen, ich will dir wasch scheigen.
Ohne Zähne?
Ohne Schähne.
Und so musste Eduard durch die City trotten und Tüten, Taschen und Einkaufsbeutel tragen. Endlich meinte Sabine: Eduard, die Scheit ischt um. Wir müssen
schum Schanarscht.
Wenig später saßen sie wieder in ihrem alten Opel, doch plötzlich merkte er, dass die Richtung nicht stimmte. Eduard wendete umständlich und missachtete dabei die
durchgehende Sperrlinie. Ausgerechnet in diesem Moment kam wie aus heiterem Himmel ein motorisierter Polizist und stoppte ihn.
Oberwachtmeister Ziesche, bitte Ihre Fahrzeugpapiere.
Eduard reichte sie ihm.
Sie haben die Sperrlinie überfahren. Ich muss Sie mit einem Ordnungsgeld verwarnen.
Eduard knurrte etwas, aber da kam ihm Sabine zu Hilfe, und er hörte verwundert das nachfolgende Gespräch: Verscheihung, Herr Schiesche ...
Oberwachtmeister Ziesche.
Ja, ja, aber wir haben keine Scheit.
Sie können sofort weiterfahren, wenn Sie zwanzig Euro zahlen.
Schwanschig Euro schalen?
Eduard bemerkte, wie Sabine nicht nur Funken, sondern auch Speichel sprühte, und der Polizist zusammenzuckte. Er hörte Sabine fragen: Herr Schiesche, können
Schie nicht kürschen?
Natürlich kenne ich Kirschen.
Nicht Kirschen, kürschen. Ich meine: Können Schie die schwanschig Euro nicht kürschen?
Ordnungsgeld ist Ordnungsgeld.
Wir haben im Schillertal nur schehn Euro geschalt.
Zillertal ist Zillertal. Wir sind in Deutschland.
Nun gut. Übrigens, Herr Schiesche ...
Oberwachtmeister Ziesche, bitte.
Ja, ja, ich weisch, aber Ihre Jacke ischt nicht schu. Esch fehlt ein Knopf.
Das geht Sie gar nichts an.
Und Ihre Hände schittern.
Sie zittern, weil Sie mich aufregen. Sie sind eine ... Schicke.
Eine Schicke?
Eduard sah, wie sich Sabine geschmeichelt in Positur setzte. Doch wie erstaunte er, als der Polizist ihm zuraunte: Fahren Sie weiter, Sie sind schon genug
gestraft.